Der Flaneurist: Das Schildhorn-Denkmal und Jaczo von Köpenick

Wigbert Boell
5 min readFeb 11, 2021

Der Flaneurist war spazieren. Wieder einmal hat er Schildhorn besucht — die Halbinsel an der Havel. Sie liegt im Grunewald, nicht weit von dem bekannteren Turm.

“Blick auf die Havel bei Schildhorn” © villamondial

Der Flaneurist mag diesen Ort. Ein Spaziergang um die Peninusula herum ermöglicht nicht nur den Kontakt mit Bäumen und Wald, sondern auch mit dem Wasser. Der Flaneurist mag es, das Wasser zu sehen und zu spüren. Die Havel fließt hier vorbei, weiter südlich in den Wannsee hinein und dann weiter nach Potsdam.

Der Flaneurist ist gerne an der frischen Luft. Er genießt es, tief einzuatmen. Hier, an der Havel hat er keine Sorgen, dass sich irgendwelche Aerosol-Tröpfchen-Reste noch in der Luft befinden, so wie er es manchmal denkt, wenn er durch sein Stadtviertel schlendert. Nein, hier ist frische Luft — auch wenn er ab und zu anderen Spaziergängern begegnet. Die Luft ist kalt, aber doch noch sehr angenehm.

Das Jaczo-Denkmal © villamondial

Er spaziert über den gefrorenen Weg zu dem “Jaczo-Denkmal” und schaut hinauf. Die dunkle fast 10 Meter hohe Säule zeichnet sich gegen den blauen Himmel ab. Schnee liegt auf einigen Teilen. Er betrachtet versunken das besondere Kreuz auf der Spitze, dreht sich dann um und liest nun wohl schon zum 10.ten male die in der Nähe stehende Informationstafel durch.

Die Informationstafel zum Jaczo-Denkmal © villamondial

“Schön…”, denkt er. “Schön, dass die Berliner Forsten und der “Bürger-für-Schildhorn”-Verein dieses Schild hier aufgestellt haben. Der Flaneurist wundert sich nicht. Er weiß, dass es in Deutschland für alles einen Verein gibt.

Er liest die Informationen auf der Tafel, die erklären, warum das Denkmal dort steht. 1845 wurde es im Auftrag von Friedrich Wilhelm IV. nach seiner eigenen Skizze errichtet. Der preußische König wollte damit an die Gründung der Mark Brandenburg erinnern und an die Christianisierung des Slawenfürsten Jaczo von Köpenick.

Wenn auch nicht historisch belegt, so gibt es eine Volkssage, die in verschiedenen Varianten seit dem Mittelalter erzählt wurde. Die Schildhorn-Saga erzählt über das Ende der Kämpfe zwischen dem Fürsten Jaxa (Jaczo) und dem ersten Markgrafen von Brandenburg “Albrecht dem Bären” (Albrecht I.).

“…Auf seiner Flucht vor Albrecht dem Bären soll Jaxa auf seinem Pferd die Havel durchschwommen haben. Als er zu ertrinken drohte und der Slawengott Triglaw sein Flehen um Rettung nicht erhörte, habe er in seiner Not den bislang verhassten Christengott angerufen. Mit Hilfe des Christengottes habe er das rettende Ufer bei Schildhorn erreicht, sich aus Dankbarkeit zum Christentum bekehrt und seinen Schild und sein Horn an einem Baum zurückgelassen. Daher trage die Halbinsel den Namen Schildhorn. …” (wikipedia)

Der Flaneurist betrachtet die Tafel und schaut hinüber auf das andere Ufer nach Gatow. Er weiß, dass dort auch der “Jaczo-Turm” steht. Er schüttelt sich, ihm ist kalt geworden und seine Füße wollen weiter. Mit energischen Schritten geht er zum kleinen Strand an der Nordspitze der Halbinsel hinunter.

Er wird dort kurze Zeit verweilen und auf das Wasser schauen, bevor die Kälte ihn wieder vertreibt. Der Flaneurist nimmt sich vor, diesmal noch etwas zu recherchieren — über die Sage, den Fürsten, den König, die Havel und die geschichtlichen Zusammenhänge. Er weiß, dass er sich in diesen sicherlich länger verlieren wird…

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Mitte des 19. Jahrhunderts verschmelzen die unterschiedlichen Versionen der Schildhorn-Legende, als sowohl Schriftsteller, als auch Maler das neu errichtete Denkmal zum Anlass nehmen, ihre eigene künstlerische Verarbeitung zu entwerfen. In den seitdem erzählten Versionen klingen Flucht und göttliche Rettung dramatisch:

“Im nachgesandten Regen der Speere und Pfeile, mitten in der Strömung, ruft der Sinkende: «die Götter meiner Väter haben mich verlassen; Gott der Christen rette mich, so bin ich dein ewiglich!»…” August Kopisch (1799–1853)

Holzschnitt von O. Vogel / Zeichnung von Adolph Menzel, 1868 © Wikimedia Commons

Der Christengott wird zum Retter und die Bekehrung des Jaczo zu der zentralen Bedeutung dieses Ortes.

„Seinen Schild aber, den der Finger Gottes berührt, ließ er dem Ort, wo das Wunder sich vollzogen hatte. Der Schild des Heiden war ihm zum Glaubensschild geworden.“

Theodor Fontane (1819–1898)

Der Flaneurist ist zufrieden. Er schließt sein Notizbuch und macht seinen Computer aus. Er hat genug Material gesammelt und wird es jetzt aufschreiben. Er hat noch bei schildhornpark.de ein Zitat gefunden, das die besondere Stimmung beschreibt, die er dort empfindet — das Gefühl, warum er in den letzten Jahren immer wieder dorthin zurückgekehrt ist.

„…die Sage selbst wird fortleben von Mund zu Mund, und jeder, der das S c h i l d h o r n besucht und den stillen Zauber auf sich wirken läßt, den die immer wechselnden Bilder von Wald und Fluß, die weißen Segel über dem Wasser und die „Segler in den Lüften“ hier leise zusammenspinnen, der wird, in aufkeimendem romantischen Bedürfnis, sich das Westufer des Flusses plötzlich mit allerhand Gestalten beleben und den Wendenfürsten selbst, den umleuchteten Schild zu seinen Häupten, auf dem gekräuselten Wasser sehen. Ein Lächeln wird dem Traumbild folgen, aber eine dankbare Erinnerung wird ihm bleiben an das märkische Landschaftsbild, das das S c h i l d h o r n vor ihm entrollte.“

(Theodor Fontane: “Wanderungen durch die Mark Brandenburg”, Teil 1, Anhang: “Das Schildhorn bei Spandau”)

“Schildhorn an der Havel” Eduard Gaertner, 1848 © Wikimedia Commons

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Wigbert Boell

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